SPD-Solidarrente: Bringt sie wirklich „Respekt, Wertschätzung und Gerechtigkeit“?

Ende letzten Jahres gab ich dem SPD-Debatten Magazin Berliner Republik als Autorin des Buchs „Die verratenen Mütter. Wie die Rentenpolitik Frauen in die Armut treibt“ ein ausführliches Interview: „1889 war die Rente progressiver“ setzte die Reaktion als Titel darüber. Das ist eine provokante Aussage, aber sie enthält einen wahren Kern: Denn bei der Gründung der Rentenversicherung in Deutschland 1889 galt das Mantra „Rente nur gegen Beiträge“ noch nicht. Die Rente setzte sich aus einem einheitlichen Sockelbetrag und einem einkommensabhängigen Betrag zusammen. Dadurch wurden Einkommensunterschiede während des Erwerbslebens zum Teil ausgeglichen – das waren bis zur Rentenreform Ende der fünfziger Jahre die Regeln. Seither folgt die Rentenberechnung gnadenlos dem Prinzip „Rente nur gegen Beiträge“, wer zu wenig einzahlt, hat Pech gehabt!
Und das sind heute viele: Denn Teilzeit-Arbeit ist ein Dauertrend. 2016 gab es mehr als 15 Mio. Teilzeit-Beschäftigte (doppelt so viele wie vor 20 Jahren), davon 7 Mio. Minijobs, an jedem vierten Arbeitsplatz wird gegenwärtig weniger als 10 Euro verdient. Ein Drittel aller Frauen arbeitet, wie es so schön heißt, in „atypischen“ Verhältnissen – mit Arbeitszeiten unter 20 Stunden, befristet oder in Leih- und Zeitarbeit. So zu arbeiten ist in Deutschland also keine Ausnahme – und führt bei Millionen Rentenversicherten zu einem Rentenbescheid, der einem die Tränen in die Augen treibt: sechs-, sieben-, acht- vielleicht mit viel Glück neunhundert Euro –Summen von denen niemand leben kann, und die in keiner Weise die Lebensleistung würdigen.
Carola Reimann, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Braunschweig mit den Arbeitsgebieten Sozial- und Gleichstellungspolitik, reagierte in der nächsten Ausgabe der Berliner Republik auf das Interview. In ihrer Replik zeigt sie anfangs Verständnis dafür, „dass viele Menschen in unserem Land die Sorge umtreibt, dass sie im Alter nicht ausreichend versorgt sein werden.“ Allerdings nimmt sie diese Sorge nicht ernst. Sie diagnostiziert lediglich einen Phantomschmerz, den eine künstliche Debatte über angeblich stark zunehmende Altersarmut verursache.
„Der Schlüssel zur Vermeidung von Armut ist in erster Linie gute Arbeit“, schreibt sie dann und zählt die politischen Erfolge der SPD etwa bei der Durchsetzung des Mindestlohns auf. Das ist nicht verkehrt, aber auch nicht richtig. Denn „gute Arbeit“, die zu einer auskömmlichen Rente führt, haben viele Millionen in den letzten zwanzig Jahren ihres Arbeitslebens nicht gehabt und sie haben sie auch heute nicht. Kann man das einfach ignorieren? Nein, das kann auch oder gerade die SPD nicht, denn „es gehört zu den Kernversprechen unseres Sozialstaats, dass die Arbeitnehmer nach einem Leben voller Arbeit im Alter abgesichert sind“, wie Reimann schreibt.
Die SPD-Antwort heißt Solidarrente. Eine Idee, die auch Ursula von der Leyen schon hatte als sie CDU-Arbeitsministerin war, sie taufte ihr Vorhaben Lebensleistungsrente. In der großen Koalition wurde daraus die „Solidarische Lebensleistungsrente“. In den Koalitionsverträgen fristete sie ein Schattendasein. Weder CDU noch SPD interessierten sich ernsthaft dafür. Jetzt hat Arbeitsministerin Andrea Nahles die Idee in ihrem „Gesamtkonzept zur Alterssicherung“ wiederbelebt (S. 33/34). Die SPD macht sich nun doch für eine „Gesetzliche Solidarrente“ stark und wirft dem Koalitionspartner vor, das Vorhaben nicht mittragen zu wollen. Die SPD will es nun in der nächsten Legislaturperiode verwirklichen. „Die Solidarrente ist eine Frage von Respekt, Wertschätzung und Gerechtigkeit. Wer trotz langjähriger Arbeit im Alter zu wenig hat, muss sich auf die Gesellschaft verlassen können“, diesen Satz schreibt Carola Reimann ganz zum Schluss unter ihren Beitrag, wie einen Merksatz.
Ich werde ihn mir merken. Aber wenn ich die Regeln betrachte, die Ministerin Nahles formuliert, habe ich große Zweifel: Solidarrente soll bekommen, wer 40 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat (bei der CDU-Variante waren es nur 35 Jahre), Versicherte müssen außerdem eine Mindestentgeltpunktzahl in der Rentenversicherung und bestimmte Wochenarbeitszeiten erreichen, eigene Einkommen und die des Partners sollen angerechnet werden. Harte Bedingungen für eine Rente die gerade 10 Prozent über dem durchschnittlichen regionalen Grundsicherungsbedarf liegen soll und damit Anspruchsberechtige wahrscheinlich nicht einmal über die Armutsgrenze heben wird. Die Regeln werden viele trotz jahrzehntelanger Arbeit ausschließen und doch wieder auf Sozialhilfe zurückwerfen. Respekt, Wertschätzung und Gerechtigkeit? Große Worte. Dieses Versprechen wird die SPD mit dieser Solidarrente mit Sicherheit nicht einlösen.